DOSB-Preis „Frauen und Sport“ (Teil 2)

Der Preis, den der DOSB in den Berufswettbewerben des Verbandes Deutscher Sportjournalisten (VDS) ausschreibt, stand in diesem Jahr unter dem Motto "Frauen und Sport".

Die Preisträger mit Laudatorin: (v.li.) Christian Witt (Focus, 2. Platz), Jörg Hahn (FAZ, Vorsitzender der Jury), Ilse Ridder-Melchers (DOSB-Vizepräsidentin für Frauen und Gleichstellung), Jürgen Löhle (Sonntag Aktuell, Sieger) und Ralf Mittmann (Südkurier, 3. Platz) Foto: Eberhard Thonfeld
Die Preisträger mit Laudatorin: (v.li.) Christian Witt (Focus, 2. Platz), Jörg Hahn (FAZ, Vorsitzender der Jury), Ilse Ridder-Melchers (DOSB-Vizepräsidentin für Frauen und Gleichstellung), Jürgen Löhle (Sonntag Aktuell, Sieger) und Ralf Mittmann (Südkurier, 3. Platz) Foto: Eberhard Thonfeld

Auch darin spiegelt sich die große Bedeutung wider, die der DOSB diesem Thema beimisst. Das Jahr 2009 hatte der Dachverband zum „Jahr der Frauen“ erklärt. Unter dem Motto „Frauen gewinnen!“ sollen aber auch künftig mehr Frauen zum Sport und in die Spitzengremien von Verbänden und Vereinen gebracht werden.

Der vom DOSB geförderte VDS-Preis würdigte nun Beiträge, die in herausragender Weise beschreiben, was Frauen im Sport bewegen. Die Texte  der drei Preisträger werden in einer Serie vorgesetllt.

Den mit 1.500 Euro dotierten zweiten Preis gewann Christian Witt, dessen Beitrag „Mit Zuckerbrot und Peitsche“ in „Focus“ erschien.

Mit Zuckerbrot und Pfeife

Die türkischstämmige Schiedsrichterin Sinem Turac leitet Spiele in Berlins höchster Herrenliga - und ist Galionsfigur für Integration

Es ist noch gut eine Stunde Zeit, bis das Spiel in Berlins höchster Herrenriga beginnt, als die attraktive junge Frau mit dem wippenden dunklen Zopf das Vereinsgelände betritt. Einige Kicker der gastgebenden Mannschaft stehen in Zivilklamotten vor dem Kabinentrakt. Sie reden über die jüngsten Aufreger in der Bundesriga, über Tore, Tricks und tumbe Tritte. Sinem Turac passiert die Gruppe. Das Gespräch verstummt. Sie spürt taxierende Blicke im Rücken. Und hört: „Na, willste mir heute ooch mal beim Spiel bewundern?“ Danach ein kesser Pfiff. Es wird der letzte fremde Puff sein, den Sinem Turac an diesem Tag notiert.

Eine halbe Stunde später betritt die 21-Jährige in Schiedsrichtermontur und mit zwei (männlichen) Assistenten im Schlepptau den Platz. Sie überprüft die Tornetze, absolviert ein Aufwärmprogramm. Und amüsiert sich über die betretenen Gesichter der gerade noch so flirtaktiven Kicker.

Sinem Turac verteilt keine bösen Blicke, sie grüßt die verwirrten Herren mit dezentem Grinsen. „Ich freue mich, wenn ich helfen kann, Vorurteile aufzubrechen“, sagt sie. Und: „Manche Männer müssen eben manches lernen.“

Widerstände knacken, verknöcherte Denkmuster überwinden - das sind die zentralen Ziele im Leben der türkischstämmigen gebürtigen Berlinerin. Als Minimädchen entdeckt Sinem Turac den Fußball für sich. Der Vater warnt noch, dass sie davon womöglich O-Beine bekommt und dicke Schenkel. „Es hat sie nicht gebremst“, erinnert sich Mutter Tülay Civelek. Sinem Turac kickt weiter auf den umliegenden Bolzplätzen mit den Nachbarskindern. So lange und so gut, bis die Widerworte weichen. Und sie im Verein, in einem Mädchenteam, mitspielen darf.

Ihre Leidenschaft fürs Pfeifen beginnt mit 15 Jahren und ihrer Jugend-Schiedsrichterprüfung. Der Vater einer Freundin - ein Berliner Referee - hat sie ermuntert. Er weiß, dass der Verband dringend geeignete junge Menschen für diese schwierige Aufgabe sucht. Und er erkennt bei Sinem Turac Charakterzüge - wie gemalt zum Leiten eines Spiels. Entscheidungsstärke, Sachlichkeit, keine eitlen Gesten - schon bei ihren ersten Einsätzen beweist sie herausragendes Talent.

Begabungen, die Sinem Turac bald in höchste Ligen katapultieren. Im Wechsel pfeift sie heute in Berlins höchster Männerklasse und der zweiten Frauen-Bundesliga. „Dort ist sie unsere hoffnungsvollste Schiedsrichterin und nächstes Jahr wohl reif für die Bundesliga“, sagt Gerhard Müller, Boss der 1202 Berliner Referees, darunter 52 Frauen, ganze drei mit Migrationshinter-grund. „Sie ist ein Glücksfall für den Fußball“, schwärmt Müller. „Und für den Kampf gegen Vorurteile.“

Eine muslimische Spielleiterin, die als Chef auf dem Platz klaglos von muslimischen Männern anerkannt wird und höchsten Respekt erfährt - wer hätte das gedacht? „Wenn ich türkische Clubs pfeife und mich einer dumm anquatscht“, so Sinem Turac, „muss ich nicht groß reagieren, weil meist ein anderer Spieler kommt und sagt: ,Lass unsere Hoca in Ruhe.’“ Hoca ist türkisch. Übersetzt heißt es Lehrer oder Respektsperson.

Nicht nur im Fußball hat Sinem Turac neue Möglichkeiten des Miteinander aufgezeigt. Schon vor ihrem Abitur geht sie außergewöhnliche Wege. Sie spricht exzellentes Deutsch, besucht Klasse zwölf eines Charlottenburger Gymnasiums, wechselt mit 18 Jahren und „gegen den Willen meiner Eltern“ die Schule.

Raus aus der Klasse mit dem Mini-Anteil an ausländischen Jugendlichen, rein in die Robert-Koch-Oberschule in Kreuzberg, die Lehranstalt mit der wohl bundesweit höchsten Quote von Schülern mit Migrationshintergrund, mithin mehr als 95 Prozent. Es gibt Wege des geringsten Widerstands, und es gibt Sinem Turac.

„Ich konnte die Schauermärchen und Sprüche nicht mehr hören, über permanente Schlägereien, Banden, diese ganzen Vorurteile ...“, sagt sie. „Darum der Wechsel. Ich wollte das mal aus nächster Nähe anschauen und erleben.“

Statt Terror gibt es Freundschaft, statt Angst erfährt sie Anerkennung. Sinem Turac wird, kaum auf dem neuen Gymnasium, zur Schulsprecherin gewählt. Respekt für ihren Kampf gegen Schranken und verquere Gedanken.

Getrieben von der Sehnsucht nach Veränderung, setzt sie 2007 Weitere ungewöhnliche Schritte, übernimmt ehrenamtlich das erste Integrationsprojekt Mädchenfußball in Deutschland. An der Vineta-Grundschule im Berliner Problemkiez Wedding trainiert Sinem Turac ein Jahr lang und an einem Nachmittag pro Woche bis zu 30 Schülerinnen zwischen sieben und zehn Jahren.

„Eine extrem bunte Gruppe“, erinnert sie sich. Mädchen aus Asien, Afrika, Arabien, Polen, der Türkei. „Auch ,bedeckte’ Schülerinnen mit Kopftuch haben mitgespielt“, sagt sie. „Und nach und nach hat der Fußball alle Schranken aufgelöst.“ Außerdem Vorurteile und Skepsis bei vielen (stets anwesenden) Eltern abgebaut. Weil ihre Töchter, trotz unterschiedlicher Religion, Hautfarbe und Abstammung zur Gemeinschaft zusammenwuchsen - und sich zudem beim Fußball sprachlich weiterentwickelten. „Nur Deutsch war im Kurs erlaubt“, erklärt Sinem Turac, „und ich habe jeden grammatikalischen Fehler verbessert.“

Sie absolviert eine Ausbildung zur Industriekauffrau beim Mineralölkonzern Total, sie möchte später Business Administration studieren, sie hat als Galionsfigur sportiver Eingliederung von Migranten, so scheint es, unbegrenzte Potenziale.

Die Bosse vom Deutschen Fußball-Bund ernennen sie nach dem Projekt an der Vineta-Schule zur DFB-Integrationsbotschafterin, neben Nationalspielern wie Serdar Tasci vom VfB Stuttgart, Celia Okoyino da Mbabi aus Bad Neuenahr und Hannovers Torhüter Robert Enke, der bis zu seinem Tod für ein liberales Miteinander eintrat. „Sinem Turac ist ein Paradebeispiel dafür, welch integrative Kraft der Fußball hat“, sagt DFB-Boss Theo Zwanziger.

Und die Politik entdeckt sie für hehre Ziele. Maria Böhmer, Staatsministerin für Migration, Flüchtlinge und Integration, lädt Sinem Turac ein ins Kanzleramt. Angela Merkel kommt hinzu, um einige Worte mit der jungen Frau zu wechseln.

Wenig später schlüpft Sinem Turac im Kanzlergarten in die Schiriklamotten. Für einen Videospot zum Thema Integration spricht sie ohne Textvorgabe aus, was ihren Aufbruch in die Gesellschaft erleichtert habe. „Deutsch perfekt beherrschen.“ Und: „Im Fußball finden die unterschiedlichsten Menschen und Kulturen zusammen - er ist wie eine gemeinsame Sprache.“

(Erfolgs-)Frauen unter sich. Von der Kanzlerin wird sie zu einer Podiumsdiskussion eingeladen. Angela Merkel moderiert das Gespräch zur Thematik ausländische Arbeitnehmer mit dem Titel „Deutschland sagt Danke“.

Sinem Turac erläutert ihre Standpunkte - verständlich, authentisch. Gerade mal ein Twen, aber schon eine starke Persönlichkeit. Gereift durch Erfahrungen als Schiedsrichterin im Macho-Männersport.

Seit vier Jahren hat die schlanke, 1,67 Meter große Frau einen festen türkischstämmigen Freund. „Du musst damit zurechtkommen, dass ich mit 22 Fußballern auf dem Platz stehe, dass ich bei Schiedsrichter-Lehrgängen oft die einzige Frau unter 80 Männern bin“, hat sie vorab gesagt. „Dann können wir es gern miteinander versuchen.“

Wie sagte Sinem Turac - Männer müssen manches lernen?


  • Die Preisträger mit Laudatorin: (v.li.) Christian Witt (Focus, 2. Platz), Jörg Hahn (FAZ, Vorsitzender der Jury), Ilse Ridder-Melchers (DOSB-Vizepräsidentin für Frauen und Gleichstellung), Jürgen Löhle (Sonntag Aktuell, Sieger) und Ralf Mittmann (Südkurier, 3. Platz) Foto: Eberhard Thonfeld
    Die Preisträger mit Laudatorin: (v.li.) Christian Witt (Focus, 2. Platz), Jörg Hahn (FAZ, Vorsitzender der Jury), Ilse Ridder-Melchers (DOSB-Vizepräsidentin für Frauen und Gleichstellung), Jürgen Löhle (Sonntag Aktuell, Sieger) und Ralf Mittmann (Südkurier, 3. Platz) Foto: Eberhard Thonfeld