DOSB-Preis „Frauen und Sport“ (Teil 3)

Der Preis, den der DOSB in den Berufswettbewerben des Verbandes Deutscher Sportjournalisten (VDS) ausschreibt, stand in diesem Jahr unter dem Motto "Frauen und Sport".

Die Preisträger mit Laudatorin: (v.li.) Christian Witt (Focus, 2. Platz), Jörg Hahn (FAZ, Vorsitzender der Jury), Ilse Ridder-Melchers (DOSB-Vizepräsidentin für Frauen und Gleichstellung), Jürgen Löhle (Sonntag Aktuell, Sieger) und Ralf Mittmann (Südkurier, 3. Platz) Foto: Eberhard Thonfeld
Die Preisträger mit Laudatorin: (v.li.) Christian Witt (Focus, 2. Platz), Jörg Hahn (FAZ, Vorsitzender der Jury), Ilse Ridder-Melchers (DOSB-Vizepräsidentin für Frauen und Gleichstellung), Jürgen Löhle (Sonntag Aktuell, Sieger) und Ralf Mittmann (Südkurier, 3. Platz) Foto: Eberhard Thonfeld

Rang drei belegte Ralf Mittmann, dessen Beitrag „Die schöne Welt der Krebsfrau“ im „Südkurier“ erschien.

Die schöne Welt der Krebsfrau

Es ist nicht so, dass sie jeden Morgen ihr Tageshoroskop abrufen würde. „Aber ein bisschen schau ich schon drauf“, sagt Helga Keller. Krebs ist ihr Sternzeichen, und wenn da dem gepanzerten Gliederfüßer als besondere Eigenschaft Familiensinn nachgesagt wird, dann ist die 68-jährige Frau aus Böhringen der Oberkrebs schlechthin. Gatte Viktor, Tochter Silke, Sohn Knut, dessen Ehefrau Karin und die beiden Enkelinnen Alessa und Karoline, dann die evangelische Kirchengemeinde, für die sie seit über 50 Jahren Orgel spielt, und, nicht zuletzt, der FC 09 Böhringen, der am morgigen Samstag mit einem Festakt seinen 100. Geburtstag feiert - groß ist Helga Kellers Familie. Dafür hat sie immer alles gegeben - auch all die Jahre, in denen sie als Leiterin der Radolfzeller Ausländerbehörde beruflich ausgelastet war. Und dafür gibt sie weiterhin alles - auch im Ruhestand, der durch gelegentliche Aushilfe im Büro der Ortsverwaltung unterbrochen wird.

Organistin in ihrer Heimatgemeinde ist Helga Keller seit 1955. Geheiratet hat sie ihren Viktor 1962. Und in den FC Böhringen eingetreten ist sie 1963, Pressewartin war ihr erster Job. Der damalige FC-Boss Manfred Schmutzler sei ja nicht so ganz überzeugt gewesen, dass da nun eine Frau in der Männerdomäne Fußball mitarbeiten sollte, erinnert sich Helga Keller mit einem gütigen Lächeln im Gesicht. „Schreib1 ja nie schlecht über den Verein, haben sie gewarnt“, erzählt sie, „und dann hat der FC das erste Spiel gleich achtnull verloren. Wie sollte man denn da was Gutes finden?“ Auf jeden Fall hat sich die Pressewartin Keller mit ihrem ersten Bericht nicht aus Amt und Würden geschrieben. Bald wurde sie Schriftführerin, danach Geschäftsführerin, von 1993 bis 2002 war sie Erste Vorsitzende, und seither ist sie als Präsidentin und Vorstandsmitglied des Fußballclubs weiter in alle Vereinsangelegenheiten eingebunden. Nach 46 Jahren Helga Keller ist beim FC Böhringen das Thema Frau im Fußball schon seit einer gefühlten Ewigkeit keines mehr, inzwischen ist auch eine Mädchenmannschaft am Ball, in der Kellers Enkelin Alessa mitkickt. „Und der Manfred Schmutzler“, sagt Helga Keller und lacht nun herzhaft, „der erzählt mir immer wieder, dass er das früher ja gar nie so gemeint hatte.“

Fußballfunktionäre waren damals von respektablem Alter. Und männlich. Bis Helga Keller kam, eine Frau und jung. „Richard Jacobs, seinerzeit Präsident des Südbadischen Verbandes, hat gesagt, ich sei die erste Frau gewesen, die in Südbaden für einen Fußballverein tätig wurde“, erzählt Keller. Bis da jeder informiert war, das dauerte in der - aus heutiger Sicht betrachtet - Steinzeit der Kommunikationsmöglichkeiten. Und glauben wollte es dann auch nicht jeder (Mann). „Manchmal, wenn zu Hause das Telefon klingelte, verlangten Funktionärskollegen meinen Mann zu sprechen. Denen hab' ich dann gesagt, da müsst ihr schon mit mir reden.“ Wirklich schwierig war's für Helga Keller aber nicht als Frau in der Männerwelt, „ich hatte zu keiner Zeit das Gefühl, untergebuttert zu werden“. Ihr auf Harmonie bedachtes Wesen könnte da hilfreich gewesen sein. „Ich habe mich eben auch nicht als Emanze gegeben, die alles weiß“, sagt Keller, die lieber Taten als Worte sprechen ließ. „Bei uns hieß es: Wenn der Ball ruht, läuft die Vorstandschaft.“

Helga Keller ist in diesem Sinne immer gelaufen für ihren FC Böhringen. Spielverlegungen, Genehmigungen, Vereinshefte, Verbandstagungen, Vorbereitungen für Feiern - um alles hat sie sich gekümmert und für nichts war sie sich zu schade. Unmengen von Trikots hat sie durch die eigene Waschmaschine gejagt, für den FCB-Stand am Radolfzeller Altstadtfest Nächte lang Speck geschnitten, und einem Hobby frönt sie zum Wohl des Vereins heute noch: „Von Anfang an habe ich bei Heimspielen Würste verkauft“, sagt Keller, „und das mache ich auch heute noch.“ Der eigene Urlaub blieb dabei auf der Strecke, aber das grämt die Frau nicht. „Wenn ich hier von der Terrasse ins Grüne schaue“, sagt sie und deutet Richtung Natur, „dann bin ich zufrieden." Die große Freiheit in anderen Ländern erleben, musste es nicht und muss es auch jetzt nicht mehr sein, „aber wenn ich eingezwängt zwischen Häusern ohne freien Blick leben müsste, das ginge nicht“.

Sport war von klein auf die Leidenschaft von Helga Keller. „Mir gefällt Leichtathletik, Biathlon, Skifahren, und vieles mehr“, sagt sie. Beim Eishockeyclub ERC Schwenningen ist sie Mitglied, und auch Reiten ist ein Topthema, nicht nur, weil Tochter Silke mit Begeisterung im Sattel sitzt, „beim Turnier in Donaueschingen habe ich oft zugeschaut". Sport querbeet sozusagen, aber über allem thront dann doch der Fußball. Der Vater hatte die kleine Helga oft mitgenommen zu den Spielen des FC Singen, der in den Fünfziger Jahren eine echte Größe im deutschen Amateurfußball war. Und dann war da natürlich das 54er-WM-Endspiel, das Wunder von Bern. 13 Jahre alt war sie damals, „im Kranz haben wir das Spiel im Fernsehen gesehen, und als ein paar Tage später die Weltmeister im Zug auch in unsere Region kamen, da waren wir in Radolfzell ganz vorne am Bahnsteig“. Sepp Herberger, Fritz Walter, Helmut Rahn, „das war ein einmaliges Erlebnis“ - das später noch getoppt wurde, als einige der Weltmeister zu einem Freundschaftsspiel in Singen antraten. „Da hab' ich doch glatt mit dem Helmut Rahn geschwätzt“, erzählt Helga Keller und schaut dabei fast ein wenig ungläubig drein. Der Mann, den sie den „Boss“ nannten beim lockeren Plaudern mit dem Mädchen, das später beim FC Böhringen auch einmal ein „Boss“ im Fußball werden sollte - solche Nähe war möglich, weil es auf der einen Seite nicht die zügellose Hysterie von jungen Fans gab, die heutzutage auch Fußballstars in den Rang einer Popikone aufsteigen iässt. Und weil auf der anderen Seite die Größen von damals noch das waren, was man einfache Leute nennt. Ein Rahn von heute liefe mit Sonnenbrille hinter einer Absperrung. Oder er hätte Bodyguards und höchstwahrscheinlich wenig Lust auf Smalltalk.

Sei's drum, für Helga Keller ist und bleibt Fußball die Nummer eins. Und damit eben auch der FC Böhringen, der so wunderbare Initialen hat. FCB - genau wie der FC Bayern, die andere große Liebe der 68-Jährigen. Etliche Male hat sie Spiele der Bayern gesehen, als die noch im Olympiastadion kickten. „Da hat man meist Karten gekriegt“, sagt Helga Keller, „jetzt in der Arena ist das ja fast aussichtslos geworden.“ Also schaut sie Pay-TV im eigenen Fernsehzimmer. Alle im Hause Keller seien Bayern-Fans, sagt die Hausherrin, alle bis auf Ehemann Viktor, der keinen Lieblingsclub, dafür seine ganz spezielle Sicht der Dinge hat. „Der“, sagt Helga Keller, „ist nur gegen die Bayern und für alle.“

Da kann es denn schon auch mal Momente geben, in denen die Krebsfrau ihr Streben nach Harmonie unterbricht. Hat ja schließlich auch Zangen, ein Krebs...


  • Die Preisträger mit Laudatorin: (v.li.) Christian Witt (Focus, 2. Platz), Jörg Hahn (FAZ, Vorsitzender der Jury), Ilse Ridder-Melchers (DOSB-Vizepräsidentin für Frauen und Gleichstellung), Jürgen Löhle (Sonntag Aktuell, Sieger) und Ralf Mittmann (Südkurier, 3. Platz) Foto: Eberhard Thonfeld
    Die Preisträger mit Laudatorin: (v.li.) Christian Witt (Focus, 2. Platz), Jörg Hahn (FAZ, Vorsitzender der Jury), Ilse Ridder-Melchers (DOSB-Vizepräsidentin für Frauen und Gleichstellung), Jürgen Löhle (Sonntag Aktuell, Sieger) und Ralf Mittmann (Südkurier, 3. Platz) Foto: Eberhard Thonfeld