"Integration ist keine Einbahnstraße" - Interview mit dem Berliner Senator Klaus Böger

Die Bedeutung von erfolgreicher Integration von Migranten in eine Gesellschaft ist durch die Ereignisse in Frankreich aktueller denn je. Berlins Senator für Bildung Jugend und Sport, Klaus Böger, bezieht in einem Interview im Vorfeld des Diskussionsforums „Integration von Mädchen und Frauen mit Migrationshintergrund im und durch den Sport" am 21.November 2005 in Berlin deutlich Position. „Integration ist keine Einbahnstraße", so der Senator.

 

Der Berliner Senator Klaus Böger (Foto: privat)
Der Berliner Senator Klaus Böger (Foto: privat)

   Die Integration von Aussiedlern und Ausländern ist derzeit wieder in aller Munde. Die Situation in Frankreich, speziell in Paris, beschäftigt viele Menschen. Ist aus Ihrer Sicht eine solche Eskalation der Gewalt in Deutschland, vor allem in Berlin mit seiner besonderen Problematik möglich?
 
Klaus Böger: Berlin ist nicht Paris. Wir haben ein tiefes und dichtes Netzwerk an Integrationsmaßnahmen und –einrichtungen, die eine gesellschaftliche Spaltung, wie wir sie in Frankreich erleben, verhindern kann. Aber natürlich sehen wir die Ausschreitungen in den Banlieus mit großer Sorge. Auch in Berlin gibt es sozial schwache Quartiere mit hohen Migrantenanteilen. Die Integration der von Jugendlichen nichtdeutscher Herkunft – vor allem junge Türken und Araber - ist ohne Zweifel die größte Herausforderung für diese Stadt. Wir müssen verhindern, dass sich diese Kreise aus unserer toleranten Gesellschaft weiter zurückziehen. Integration ist keine Einbahnstraße! Das wird nur dann gelingen, wenn wir diese Kinder und deren Eltern fordern und fördern. Unser Weg lautet deshalb „Integration durch Bildung". Wir müssen von unseren Migranten verlangen, dass sie bereit sind, Deutsch zu lernen und die Grundwerte einer offenen Gesellschaft anzuerkennen. Bei uns sind nur diejenigen willkommen, die offen und tolerant für andere Kulturen sind.
 
"Wir sind auf dem richtigen Weg. Aber- da mache mir nichts vor - dieser Weg ist noch lang."
 
   Wird durch die Geschehnisse in Paris noch einmal deutlich, wie wichtig und vielschichtig Integrationsarbeit ist?
 
Klaus Böger: Natürlich. Über viele Jahre war es gängige Meinung, dass jeder Migrant im Selbstlauf Deutsch lernt und sich die Spielregeln der offenen Gesellschaft zu eigen macht. Null Problembewusstsein! Mir ist schon lange klar, dass Multikulti kein Selbstläufer ist. Für Integration muss man etwas tun. Deswegen haben wir mit unserem Konzept Integration durch Bildung eine ebenso vielschichtige Integrationsstrategie entwickelt. Meine Verwaltung, die Schulen, die Kitas, Weiterbildungseinrichtungen, Jugendprojekte, und Sportvereine aber auch die anderen Verwaltungen, Migrantenverbände, Bürger oder Stiftungen können - ja müssen - einen Beitrag zur Integration leisten – wohlgemerkt nicht jeder für sich, sondern gemeinsam.
Das sieht in der Praxis so aus, dass z. B. seit diesem Schuljahr die Stiftung Mercator Schüler mit Migrationshintergrund fördert: An acht Schulen helfen Lehramts-Studenten betroffenen Schülern in der Sekundarstufe I nach dem Unterricht und auch in den Ferien, Lerndefizite im Deutschen auszugleichen.
Eine zweite erfolgreiche Maßnahme sind unsere Mütterkurse: Während der Betreuungs- und Unterrichtszeit ihrer Kinder lernen auch die Eltern - vor allem die Mütter nicht deutscher Herkunftssprache - in der Kita oder Schule ihrer Kinder Deutsch. Das machen unsere Volkshochschulen seit dem Jahr 2000. Im kommenden Jahr hoffen wir, 10 000 Mütter in je 250 Unterrichtsstunden Deutsch beizubringen, aber auch an die Regeln und Organisation des Lebens in Deutschland heranzuführen.
 
   Auch bei der Integration von jungen Frauen mit moslemischem Hintergrund bestehen aus vielerlei Gründen Schwierigkeiten, wie der Mord an einer jungen Türkin gezeigt hat. Was kann der Sport insbesondere bei der Integration solcher Mädchen und jungen Frauen ausländischer Herkunft leisten?
 
Klaus Böger: Sport integriert: Über Spaß, Spiel und Teamgeist im Sport lernen sich Mädchen und junge Frauen kennen, verbringen Freizeit miteinander oder entwickeln sich Freundschaften. Sport stärkt Sozialkompetenzen, Selbständigkeit und solidarisiert.
Wir haben mit Sorge beobachtet, dass Eltern ihre Töchter vom Sport- und Schwimmunterricht abmelden. Deswegen habe ich in diesem Sommer klar gestellt: Sport- und Schwimmunterricht sind Pflichtveranstaltungen für alle Kinder. Ein religiöses oder weltanschauliches Bekenntnis erkennen wir als Abmeldegrund nicht an.
 
   In welcher Situation befindet sich Berlin im Bezug auf Integration speziell in den Schwerpunktbezirken der Hauptstadt?
 
Klaus Böger: Die Gruppe der Migranten in Berlin ist nicht homogen. Wir haben natürlich viele Zuziehende mit qualifizierten Berufen aus Mittel- und Oberschicht. Diese Gruppe ist relativ leicht zu integrieren.
Schwieriger ist es, wenn Bildungsferne und Migration zusammenkommt. Bei bildungsfernen Schichten ist die Bereitschaft deutsch zu lernen, ohnehin sehr gering. Hinzukommt: Auch die zweiten und dritten Generationen heiraten Partnerinnen aus der Heimat. Diese ziehen als völlige Fremde nach Deutschland, geben ihre Werte an ihre Kinder weiter und der Integrationsprozess beginnt von neuem.
Außerdem führt die hohe Arbeitslosigkeit unter Migranten dazu, dass diese noch nicht einmal mehr am Arbeitsplatz deutsch sprechen und auch weniger Kontakt mit Deutschen haben. Schließlich ist der Ehrenmord an Hatun Sürücü eine Folge des Fundamentalismus, der vor den Grenzen Berlins nicht Halt macht.
 
   Wo sehen Sie die künftigen Schwerpunkte der Politik bei der Integrationsarbeit?
 
Klaus Böger: Der Integrationsbericht umfasst in zehn Handlungsfeldern eine Vielzahl an Maßnahmen, die wir umsetzen. Ich sehe vier Schwerpunkte:
Sprache ist der Schlüssel zur Integration. Wer nicht vernünftig deutsch kann, der wird die Schule nicht abschließen. Am erfolgreichsten ist eine Sprachförderung, die so früh wie möglich beginnt. Wir müssen deshalb die sprachliche Entwicklung von früh auf fördern – im Anfangsunterricht der Grundschule und noch vor der Schule mit einer vorschulischen Förderung in den Kitas.
 
Eine Integration der Kinder wird nicht gelingen, wenn wir es nicht schaffen, die Eltern zu integrieren.
Neben der Sprachförderung ist es wichtig, die demokratische Verfasstheit und die Strukturen und Normen Deutschlands zu vermitteln. Nur beides gemeinsam – Sprachkenntnisse und gesellschaftliches Grundlagenwissen – befähigt zur Partizipation.
Wir können die Menschen am besten im Konkreten integrieren: Wir müssen die Kinder und Jugendlichen, aber vor allem die Eltern in den Kiezen erreichen - in den Kitas, in den Schulen und Jugendeinrichtungen, aber auch Museen und Bibliotheken, mit Migranten- und Elternvereinen, Sportvereinen. Deswegen ist es wichtig, dass Berlin seine Integrationspolitik auf die Arbeit in den Kiezen orientiert.
 
Wir sind auf dem richtigen Weg. Aber- da mache mir nichts vor - dieser Weg ist noch lang.


  • Der Berliner Senator Klaus Böger (Foto: privat)
    Der Berliner Senator Klaus Böger (Foto: privat)