Migrantinnen für den Sport gewinnen

Wassersport, Gymnastik, Volleyball. Mutter-Kind-Turnen oder Yoga für Krebserkrankte – mit solchen Vereinskursen will der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) in Stuttgart Migrantinnen für den Sport gewinnen.

Frauen im Aqua-Fitness-Kurs. Foto: Sylvia Rizvi
Frauen im Aqua-Fitness-Kurs. Foto: Sylvia Rizvi

Gülcan A. (Name geändert) hat im Sommer an einem Schnupperkurs in Aqua-Fitness teilgenommen. Für rund 15 meist türkische Frauen stand das Lehrschwimmbecken der Cannstatter Schillerschule zur Verfügung. Die 35- bis 60-jährigen Migrantinnen waren unter sich. Dienstags von 17 bis 18 Uhr war der Eintritt für Jungen und Männer verboten.

„Ich treibe Sport wegen der Gesundheit“, sagte Gülcan A. Die Muslima kam vor 36 Jahren nach Deutschland. Jetzt rackert sie im 35. Jahr in Gärtnereien, Wäschereien oder im Pflegeheim. Früher ging die 56-jährige Stuttgarterin mit der offenen, brünetten Kurzhaarfrisur täglich eine Stunde joggen. Eine Fußoperation bereitete ihrem Ausgleichssport ein Ende. Die Übungen beim Aqua-Fitness des TB Bad Cannstatt waren anstrengend. „Aber es macht Spaß.“

Seit Mai 2009 macht sich der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) daran, Migrantinnen für den Vereinssport zu begeistern. Das Projekt heißt „Mehr Migrantinnen in den Sport“. Bis Juni nächstes Jahr soll es in Stuttgart 15 Kurse geben.

„Mädchen und Frauen mit Migrationshintergrund sind in Sportvereinen deutlich unterrepräsentiert“, erklärt die Projektleiterin in Baden-Württemberg Carola Mertens. Weniger als ein Prozent der Muslima in Deutschland seien Mitglied. Dabei zeigten Studien: Migrantinnen hätten ein enormes Interesse an Sport. „Der Bedarf nach Schwimmen ist zum Beispiel riesengroß.“ Oft aber scheitert die Körperertüchtigung am äußeren Rahmen. Zum Beispiel beim Eintauchen ins kühle Nass. „Die einen gehen aus religiösen Gründen nicht in öffentliche Schwimmbäder. Die anderen können nicht schwimmen“, weiß Mertens. Wieder andere müssen ihre Kinder betreuen oder würden schlicht die Struktur des deutschen Vereins- und Sportwesens nicht kennen.

Kein Zustand, sagte sich der DOSB. Die Dachorganisation mit Sitz in Frankfurt will mit fünf Verbänden und 18 Vereinen zeigen, wie Kurse an den Interessen von Frauen mit Zuwanderungsgeschichte ausgerichtet werden können. Allein 18 der 51 Kurse in Deutschland laufen in Baden-Württemberg. Für Vereine soll eine Handreichung entstehen.

Der Landessportverband Baden-Württemberg, der Sportkreis Stuttgart und das „Gemeinschaftserlebnis Sport“ setzen das eineinhalbjährige Netzwerkprojekt in der Landeshauptstadt um. Mit sechs Vereinen wollen sie 200 bis 250 Projekt-Teilnehmerinnen an Land ziehen. Die Frauen brauchen kein Vereinsmitglied zu werden. Und sie können direkt in ihrem Stadtteil wirbeln. Ergänzt wird das zwölfwöchige Training durch Angebote zur Sprachförderung. Geld gibt’s vom Bundesministerium für Gesundheit.

Die DOSB-Kurse laufen in der Schwabenmetropole in einer Atmosphäre, wo das Frauenschwimmen die Gemüter erhitzt. Jüngst sorgte der Schwimmkurs einer anderen Initiative für Zündstoff. Er fand im privat betriebenen Untertürkheimer Hallenbad statt. Bis September lernten dort Frauen mit ausländischen Wurzeln, sich über Wasser zu halten. Gegner bemängelten zu großes Entgegenkommen gegenüber islamisch geprägten Traditionen. Oder sie fanden Geschlechtertrennung im Wasser antiquiert. Befürworterinnen dagegen gefiel die Idee von männerfreien Stunden ohne pöbelnde Jungs – auch in öffentlichen Bädern. Die Stuttgarter Bäderbetriebe wollen aber wegen Wünschen besonderer gesellschaftlicher Gruppen nicht die restliche Kundschaft aussperren. Die Stuttgarter Grünen haben nun am 27. August einen Antrag eingebracht. Sie wollen wissen, auf welcher Basis Schwimmzeiten für Frauen möglich sind.

Und Gülcan A.? Die Türkin würde es nicht stören, wenn Männer im Hallenbad wären. Für sie löste der Kurs vielmehr ein Betreuungsproblem, denn sie passte tagsüber auf ihre Enkelin auf. Bei der Aqua-Fitness konnte die Kleine unter Aufsicht nebenan plantschen, während sich die Großmutter fit hielt.

Projektleiterin Carola Mertens wird weiter Frauen wie Gülcan A. für den Vereinssport werben. Der Bedarf an besonderen Sportangeboten sei da. Er werde von privaten Vereinen in nicht-öffentlichen Räumen erfüllt. Die Allgemeinheit habe keine Nachteile. Auch im Untertürkheimer Privatbad. Dort führt der DOSB das unter Beschuss geratene Frauenschwimmen weiter.  

Der Text von Sylvia Rizvi ist in "Interkultur", Heft 10, Stuttgart, erschienen mit Erstveröffentlichung in der Zeitschrift "Forum der Kulturen".

Netzwerkprojekt „Bewegung und Gesundheit – mehr Migrantinnen in den Sport“
Projektleitung in Stuttgart:
Carola Mertens
Tel: 0711 28 077 – 656
E-Mail: carola.mertens@sportkreis-stuttgart.de

in Kooperation mit:
Sportkreis Stuttgart

Teilnehmende Stuttgarter Vereine:
TB Bad Cannstatt
TB Untertürkheim
SKG Gablenberg
TV 89 Zuffenhausen und SV Rot
MTV Stuttgart


  • Frauen im Aqua-Fitness-Kurs. Foto: Sylvia Rizvi
    Frauen im Aqua-Fitness-Kurs. Foto: Sylvia Rizvi