„Wer die Quote nicht will, verschließt sich der Gleichberechtigung“

„Es ist Zeit, neuen Ideen und neuen Frauen die Chance zu geben, zu gestalten“, resümierte die scheidende DOSB-Vizepräsidentin anlässlich der 9. Frauen-Vollversammlung Berlin.

Reformen sollen im DOSB auch zugunsten der Frauen vorangetrieben werden. Foto: DOSB/Anja Schnabel
Reformen sollen im DOSB auch zugunsten der Frauen vorangetrieben werden. Foto: DOSB/Anja Schnabel

Die Fußspuren, die Ilse Ridder-Melchers hinterlässt, sind groß. Nach zwölf Jahren als DOSB-Vizepräsidentin Frauen und Gleichstellung und unzähligen frauenpolitischen Meilensteinen, die sie gemeinsam mit ihren Mitstreiterinnen und Mitstreitern gesetzt hat, wird sie bei der Wahl zum DOSB-Präsidium am 6. Dezember in Dresden nicht mehr kandidieren.

Ganz im Gandhi’schen Sinne rief sie die Delegierten zur Wahlurne, um ihre Nachfolgerin für das Amt der Vizepräsidentin zu nominieren: „Be the change! Wir sollten selber die Veränderung sein, die wir fordern.“

Neue Chefin

Auf die notwendigen Veränderungen innerhalb der DOSB-Chef(innen)etage wird künftig wohl Dr. Petra Tzschoppe pochen. Mit 133 zu 108 Stimmen setzte sich die Sportwissenschaftlerin der Universität Leipzig gegen ihre Mitkandidatin Michaela Röhrbein vom Allgemeinen Deutschen Hochschulsportverband durch. Als designierte Vizepräsidentin muss sie sich nun noch im Dezember der Mitgliederversammlung des DOSB stellen.

Dank ihrer bisherigen Ämter im DOSB und im Landessportbund (LSB) Sachsen-Anhalt kann Petra Tzschoppe auf langjährige Erfahrung sowohl in der Verbands- als auch in der Frauenpolitik zurückblicken. „Ich möchte im Sport mehr bewegen als mich selbst und das Thema Frauen und Gleichstellung mit größerer Selbstverständlichkeit auf allen Ebenen verankern“, sagte sie zu ihrer Kandidatur. „Denn in genau diesem Handlungsfeld liegen wichtige Antworten auf drängende Fragen der Sportentwicklung.“

Zähneknirschende Männer

Nicht unbedingt eine Politik der vorsichtigen Schritte. Die wären zum momentanen Umdenk-Prozess im DOSB auch gar nicht nötig. Immerhin steht mit Alfons Hörmann ein „Frauenversteher“ an der Spitze der Dachorganisation – so zumindest titulierte Verena Bentele, die Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen, den DOSB-Präsidenten in ihrem Berliner Grußwort.

Denn Hörmann will die Reformen im DOSB auch zugunsten der Frauen vorantreiben. „Bei einem guten Kompromiss knirschen beide Seiten mit den Zähnen. Ich höre momentan deutschlandweit viele Männer mit den Zähnen knirschen“, konstatierte Hörmann während der Frauen-Vollversammlung. „Trotzdem brauchen wir eine verbindliche Quote für die Frauen. Wer eine solche Quote nicht will, verschließt sich der Gleichberechtigung.“

Garantiert nicht mit den Zähnen knirscht Dr. Ralf Kleindiek – der Staatssekretär im Bundesminis-terium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend weiß selber um die überholten Rollenbilder von Frauen und Männern, die immer noch in vielen Köpfen herumschwirren. In seiner Eröffnungsrede betonte er die wichtige Funktion des Spitzen- und Breitensports für die Gleichstellung.

Ausgezeichnete Frauen

„Spitzensportlerinnen und -sportler sind wichtige Botschafter, denn sie lenken unseren Blick hin zu den Fähigkeiten, weg von den Defiziten. Ich kann in der Politik gar nicht so viel reden – Sport-lerinnen und Sportler sind immer die besseren Vorbilder“, griff die ehemalige Bundes-Gesundheitsministerin Ulla Schmidt diesen Gedanken auf. Für ihr eigenes vorbildhaftes und jahrzehntelanges Engagement überreichte ihr Vizepräsidentin Ilse Ridder-Melchers bei der abendlichen Feier im Berliner Bärensaal des Alten Stadthauses den diesjährigen Gleichstellungspreis des DOSB.

In ihrer Dankesrede forderte Ulla Schmidt, allen Menschen den Zugang zum Sport zu ermögli-chen – und nicht nur den Leistungsstarken: „Wir können das Bild in der Gesellschaft ändern, indem wir unser Gegenüber wertschätzen und Gleichstellung als Bereicherung und nicht als Bedrohung sehen.“

Auch die zwölfmalige Paralympics-Siegerin Verena Bentele betonte in ihrem beeindruckenden Plädoyer die Wichtigkeit positiver Emotionen und die Vorbilder, die der Sport als Motor liefert: „Jeder sollte seine Identitäten einbringen können. Dabei spielt es keine Rolle, ob Frau oder Mann, behindert oder ohne Behinderung, mit oder ohne Migrations-Hintergrund. Viele engagierte Menschen können viel bewegen – es geht viel mehr als wir eigentlich denken.“

Auf die gesellschaftspolitische Bedeutung des Sports ging auch Andreas Statzkowski, Staatssekretär des Berliner Senats, in seiner Rede ein: „Die Frauen haben einen erfolgreichen Weg hinter sich, aber auch noch einen langen vor sich. Schaffen wir im Sport in puncto Gleichstellung einen Schritt nach vorn, sind wir auch in der Gesellschaft einen Schritt voran gekommen.“

Doch der Weg zur wirklichen Gleichstellung ist für Marlies Wanjura trotzdem noch lang. „Bekanntlich ist der Weg das Ziel, aber das heißt nicht, dass wir einen Spaziergang vor uns haben“, sagte die Vizepräsidentin Frauen und Gleichstellung des Landessportbundes Berlin in ihrem Grußwort. „Es ist noch ein steiniger und holpriger Weg, und der Sport kann sich keinen Umweg mehr leisten.“

Die Zeiten taktischer Umwege sind für die Frauen-Vollversammlung ohnehin passé – an der Quote führt für Ilse Ridder-Melchers kein Weg vorbei. „Erst wenn Gleichstellung nachhaltig gesichert und wirklich gelebt wird, werden eigenständige Interessenvertretungen von Frauen überflüssig sein“, postulierte die noch amtierende DOSB-Vizepräsidentin vor den Delegierten. „Unsere Aufgabe ist es, die Gleichstellung von Frauen und Männern soweit zu stabilisieren, dass das Thema ein Selbstläufer wird.“ Nach zwölf Jahren der Politik der großen Schritte setzt Ilse Ridder-Melchers noch einen drauf: einen fulminanten Schlussspurt.

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<media 51373 _blank download "TEXT, Laudatio Gleichstellungspreis 2014 Ulla Schmidt, Laudatio_Gleichstellungspreis_2014_Ulla_Schmidt.pdf, 105 KB">Initiates file downloadDie Laudatio auf Ulla Schmidt >>></media>

(Quelle: DOSB-Presse, Ausgabe 38/Michaela Rose)


  • Reformen sollen im DOSB auch zugunsten der Frauen vorangetrieben werden. Foto: DOSB/Anja Schnabel
    Reformen sollen im DOSB auch zugunsten der Frauen vorangetrieben werden. Foto: DOSB/Anja Schnabel