DOSB-Netzwerkprojekt mit Sportangeboten für Migrantinnen

Vor etwa einem Jahr hat der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) in Frankfurt/Main das Netzwerkprojekt „Bewegung und Gesundheit – mehr Migrantinnen in den Sport“ gemeinsam mit den Partnerverbänden gestartet.

Weniger als ein Drittel der Mädchen mit Migrationshintergrund ist sportlich aktiv. Copyright: picture-alliance
Weniger als ein Drittel der Mädchen mit Migrationshintergrund ist sportlich aktiv. Copyright: picture-alliance

Die Initiative ist auf zweieinhalb Jahre begrenzt. Im Kern geht es darum, in Kooperation mit den insgesamt fünf Sportverbänden, von denen wiederum jeder mit mindestens drei und maximal fünf Vereinen vernetzt ist, Integration ganz praktisch zu leben. Die Sportjugend Berlin ist neben dem Deutschen Turner-Bund, dem Ju-Jutsu-Verband, dem Landessportverband Baden-Württemberg und der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) einer der fünf Kooperationspartner, die zum einen rein sportliche Angebote für Mädchen und Frauen mit Migrationshintergrund und andererseits durch externe Netzwerkpartner auch attraktive Zusatzofferten gestalten.

Förderer des Projekts ist das Bundesgesundheitsministerium. Beim Start hatte die damalige Ministerin Ulla Schmidt die Wirkungen hervorgehoben, die bei kreativer Umsetzung der Ziele entstehen können: Sport stärke das Selbstbewusstsein von Frauen und Mädchen, kulturelle Barrieren würden überwunden, und über diesen Weg werde die gesellschaftliche Integration gefördert, sagte sie. Wer in einer Gruppe Sport treibe, lebe nicht nur gesünder, sondern tausche sich mit anderen aus. Soziale Netze entstünden, das Verständnis zwischen den Kulturen wachse und schaffe Vertrauen weit über den Sport hinaus. Das belegt ein Beispiel aus Berlin.

Der Erste Berliner Judo Club 1922 e.V. ist unter anderem an der Karl-Weise-Schule im Berliner Brennpunkt Neukölln aktiv. Nach den Sommerferien 2009 hat das Projekt dort begonnen, bei dem ein gutes Dutzend acht- bis zehnjähriger Mädchen aus der 3. Klasse in einer Gruppe den Dreiklang von Bewegung, Gesundheit und vor allem Spaß erleben. Dass dieser Dreiklang stimmig ist, konnten Vertreterinnen und Vertreter von DOSB, LSB, Schule, Verein und Medien bei einer Stippvisite erleben.

Fast die Hälfte der in Deutschland lebenden Menschen mit Zuwanderungsgeschichte sind Frauen und Mädchen. Studien aber zeigen, dass die Sportbeteiligung von Migrantinnen deutlich unter der der weiblichen deutschen Bevölkerung liegt. Nur jedes siebente Mädchen mit Migrationshintergrund ist in den Vereinssport eingebunden. Bei den zehn- bis elfjährigen ist es nur jedes fünfte Mädchen im Vergleich zu 58 Prozent bei den gleichaltrigen deutschen Mädchen. Weniger als ein Drittel der Mädchen mit Migrationshintergrund ist sportlich aktiv. Dem steht aber entgegen, dass sich 45 Prozent von ihnen wünschen, Sport treiben zu können. Hier setzt das DOSB-Projekt an.

Generelles Ziel ist es, durch vernetzte Angebote auf lokaler Ebene einerseits einen besseren Zugang für Migrantinnen zum regelmäßigen Sport zu ermöglichen, und andererseits eine Sensibilisierung und interkulturelle Öffnung der Verbands- und Vereinsarbeit zu erreichen. Nur ein Beispiel dafür ist die Karl-Weise-Schule, an der das sportliche Ju-Jutsu- und Judo-Angebot mit einer zusätzlichen Offerte in Richtung Sprache/künstlerisches Talent verbunden ist.

Solche Zusatzangebote gehören zum Konzept des Projektes. „Es ist unabdingbar und macht eine neue, bisher nicht gekannte Qualität aus“, sagt DOSB-Vizepräsidentin Ilse Ridder-Melchers. Sie nennt es „Sport plus X“.

Für das „X“ an der Karl-Weise-Schule ist Kai Schwege (34) als Leiter zuständig. Der gelernte Schauspieler, über einen Honorarvertrag mit der Schule verbunden, baut die Ju-Jutsu-Elemente, die seine Schützlinge in der wöchentlichen Stunde des sportlichen Angebots lernen in das „plus X“-Angebot“, nämlich seine Theaterstunde ein, die ebenfalls einmal wöchentlich stattfindet. So schafft er es, den Mädchen Hemmschwellen zu nehmen, ihre Phantasie anzuregen und sich dabei selbst zu entdecken. Talente, die ansonsten im Verborgenen blieben, werden plötzlich frei.

Der Anteil von Kindern, vor allem Mädchen aus Elternhäusern mit Migrationshintergrund, ist in der Schule hoch. Er liegt laut Direktorin Jana Saenger etwa bei 70 Prozent. Am stärksten vertreten sind Kinder aus dem muslimischen Kulturkreis. Dieser Einwanderergruppe und den hier geborenen Nachfolgegenerationen wird häufig Isolation, Verweigerung, mangelnde Integrationsbereitschaft nachgesagt. Davon ist nichts zu spüren in der Karl-Weise-Schule.

Offen und ohne ohne Scheu präsentieren sich die Mädchen auch vor dem Publikum. Sie wetteifern gestikulierend und rufend darum, wer als erstes vorführen darf. Sie tanzen, lachen, singen – miteinander. In den kurzen, selbst erdachten Theaterstücken auf der Bühne der Aula geben sie ernste und komödiantische Einblicke in ihr Leben, die nachdenklich machen. Darin kommen Gewalt und Intoleranz ebenso vor wie der Wunsch nach Freundschaft und Vertrautem. Kai Schwege lenkt und führt seine Gruppe behutsam, unaufdringlich und doch zugleich direkt. Das macht offensichtlich Spaß. Den Kindern und den Zuschauern.

DOSB-Projektleiterin Verena Zschippang sieht allein in den Eindrücken dieser einen Stunde die Sinnstiftung des Projekts bestätigt. Man wolle sich informieren, wie der Netzwerkgedanke umgesetzt werde, sagt sie. Es geht um Erfahrungsaustausch, um neue Wege zu finden, die Mädchen und Frauen zu mehr Bewegung motivieren und ihre sozialen Kompetenzen stärken können. Nach Ende des Projekts wird allen Interessierten des Sports eine Handreichung mit Good-Practice-Beispielen für die Vereins- und Verbandsarbeit zur Verfügung gestellt.

Das Wesentliche ist, den Migrantinnen den Zugang zum Sport zu erleichtern, Hindernisse und Berührungsängste abzubauen. Dafür, sagt Verena Zschippang, müssten die Angesprochenen „in ihrer direkten Lebenswelt abgeholt“ werden, weil der erste Schritt oft der schwerste sei. Gehe man mit den Angeboten in die Schulen, sei das eine ideale Möglichkeit. „Wir haben hier erlebt, dass das Argument mancher Vereine, man mache doch so viele Angebote, aber die wollen einfach nicht, schlichtweg nicht stimmt“, sagt auch Barbara Westphal, die 1. Vorsitzende des Judo-Clubs. „Von wegen die wollen nicht! Im Gegenteil: Die Mädchen haben riesigen Spaß und wollen diesen Teil ihres Lebens nicht mehr missen.“ Der Verein, seit längerem Integrationsstützpunkt sagte sofort zu, als das Projekt an ihn herangetragen wurde. „Ein direkter Effekt des Projekts ist nicht sofort messbar“, sagte Barbara Westphal. „Feststellen allerdings lässt sich, dass es in den letzten Monaten einen kleinen Run auf unsere Kindergruppen gegeben hat.“


  • Weniger als ein Drittel der Mädchen mit Migrationshintergrund ist sportlich aktiv. Copyright: picture-alliance
    Weniger als ein Drittel der Mädchen mit Migrationshintergrund ist sportlich aktiv. Copyright: picture-alliance