Starke Netze gegen Gewalt

Interview mit Fatma Keckstein, Direktorin Zielgruppen beim Deutschen Ju-Jutsu-Verband, zum 10jährigen Jubiläum "Starke Netze gegen Gewalt".

 

v.l. Fatma Keckstein und Alexandra Thews Foto:DOSB
v.l. Fatma Keckstein und Alexandra Thews Foto:DOSB

Der DJJV war Mitinitiator der Aktion, damals noch unter dem Namen „Gewalt gegen Frauen – nicht mit uns“. Was waren die Gründe, welche Anliegen waren dem DJJV besonders wichtig?
Es war schon immer ein Kernthema des DJJV Frauen darin zu schulen, wie sie sich gegen Angriffe schützen können. Seit den frühen Anfängen unseres Verbandes haben wir eine eigene Lizenzstufe, nach der wir Kursleiter fürFrauenselbstSicherheit (Frauen-Selbstverteidigung) und Nicht mit mir! (Kinder-Selbstverteidigung) ausbilden. Darum war es für mich selbstverständlich, sofort meine/ unsere Mitarbeit an der DOSB-Aktion zuzusagen.
Der Hintergrund ist, dass das deutsche Ju-Jutsu-System vor 50 Jahren maßgeblich für die Ausbildung von Polizisten geschaffen wurde. Darum finden sich in unserem Verband über-durchschnittlich viele Sicherheitsbeamte, die die Ausrichtung unseres Sports maßgeblich mit beeinflussen. Für diese Berufs-gruppen ist es sicher auch ein Stück weit Kompensation, in ihrer Freizeit Menschen darin zu unterrichten, wie sie sich vor Gewalt schützen können. So ist es nur folgerichtig, dass der DJJV in seinem Leitbild die Sicherheit der Menschen als
oberstes Ziel definiert.

Was hat sich verändert in den vergangenen 10 Jahren?
Die erste DOSB-Auftakt-Veranstaltung fand damals in Berlin, unter der Beteiligung von gleich mehreren Ministerinnen, statt. Das war natürlich eine Riesensache, die auch viel Medienaufmerksamkeit für die Aktion brachte. Leider haben wir diese tolle Unterstützung nie wieder bekommen. Obwohl der DOSB zu seinen Auftakt-Aktionen stets politische Persönlichkeiten einlud und mit Rücksicht auf deren Termine plante, sagten diese für mein Empfinden doch zu häufig ab – mitunter sogar erst im letzten Moment. Vielleicht ist das auch die Ursache, dass in den letzten Jahren das Medien-Interesse nachlässt, was natürlich nicht gerade hilfreich für uns ist. Einen Aufschrei gab es noch einmal als es zu den „Silvester-Übergriffen“ kam, aber hier war das Thema „Gewalt gegen Frauen“ ja eher von der Asyldebatte überschattet.

Was sind die Angebote des DJJV? In welchen Bereichen ist der Verband im Rahmen der Aktion aktiv?
Von Flensburg bis München bieten unsere Ju-Jutsu-Vereine das ganze Jahr über einmalige Schnupper-Events und Selbstverteidigungs-Kurse über mehrere Termine für alle Menschen an. Zusätzlich veröffentlicht der DJJV auf seiner Homepage alle Vereine, die rund um den Welt-Frauentag solche Aktionen starten und stellt diese Informationen dem DOSB zur Verfügung. Anlässlich des Internationalen Tages gegen Gewalt an Frauen (25.11.) habe ich im vergangen Jahr das DJJV-Event FrauenselbstSicherheit aus der Taufe gehoben und in Hamburg organisiert. 
In diesem Jahr, am 24.11.2018, fand es erneut statt. An einem Nachmittag lernten hier Frauen von Trainer/innen Strategien zur Gewaltvermeidung kennen. In 15-minütigen Intervallen unterrichteten wir so unterschiedliche Themen wie Wahrnehmung, Stimmeinsatz, Abwehr von Schlägen und Yoga für innere Ruhe. Dafür hatte ich mir die Ju-Jutsu Frauenreferentinnen Frauke Schlichting aus Niedersachsen und Sonja Schmid aus Bayern und die Yogalehrerin Daniela Brandt eingeladen. Für uns war das sehr harmonische Teamteaching ein wundervolles Erlebnis, das offensichtlich auch bei unseren Teilnehmerinnen prima ankam. Unterstützt wurde die Aktion von der Hamburger Polizei, Abteilung Gewaltprävention und Opferschutz. Zwischen den aktiven Einheiten konnten sich die rund 40 Frauen zwischen 18 und 70 Jahren bei Kaffee und Keksen austauschen und stärken. Es war ein rundum schöner Nachmittag mit vielen glücklichen Gesichtern, darum steht für mich schon heute fest, dass ich es im kommenden Jahr wiederholen werde.

Gibt es ein Gesamtkonzept des DJJV zur Prävention von sexualisierter Gewalt? Wenn ja, welche Zielgruppe(n) stehen im Fokus?
Wir bilden unsere Trainer/innen auf allen Lizenzstufen für dieses Thema aus. Die Kursleiterin Frauen-SV und Nicht mit mir hatte ich ja schon beschrieben. Vor zwei Jahren habe ich für den DJJV die Trainer-B-Ausbildung „Zielgruppen“ entwickelt. Hier lernen die Trainer/innen Selbstverteidigungskurse für Menschen jedes Alters und mit unterschiedlichen Bedürfnissen zu unterrichten. Also für: Frauen, Kinder/Jugendliche, Behinderte Menschen, SeniorInnen und Ju-Jutsu-Sportler, die im Rollenspiel (Szenarientraining) ihre erworbenen Fähigkeiten erproben möchten. Ganz neu in unserem Portfolio ist der/die Fachwirt/in Gewaltprävention.

Der DJJV und nahezu alle Ju-Jutsu Landesverbände haben in ihren Vorständen Frauenreferent/innen, Seniorenreferent/innen oder Gleichstellungsbeauftragte. Neben der Organisation von Selbstverteidigungs-Angeboten für Nicht-Mitglieder sind sie die Ansprechpartner/innen für Betroffene von sexualisierter Gewalt in unseren Verbänden. Die Jugendreferate des DJJV und der Landesverbände übernehmen diese Aufgaben für ihre Altersklassen. Selbstverständlich arbeiten die Jugend- und „Erwachsenen“-Referate über alle Altersgrenzen hinweg eng zusammen.

Welche Werte vermittelt der DJJV mit seinen Angeboten im Rahmen der Aktion?
Die Würde des Menschen ist unantastbar.

Und wer nimmt an den Angeboten teil?
Alle Menschen jegliches Alters und Geschlechts, die sich für Sicherheit interessieren.

Stichwort Kooperationen: Mit wem kooperiert der DJJV?
Die ältesten Partnerschaften verbinden uns natürlich mit dem DOSB und der Polizei. Ich freue mich auch sehr, dass wir in den vergangenen Jahren immer wieder gemeinsame Veranstaltungen mit anderen Spitzensportverbänden wie z.B. DLRG, DTB und DRV organisieren konnten, um nur einige davon zu nennen. Auf Landesebene haben wir auch Kooperationen mit den regionalen Frauenhäusern und dem Weißen Ring.

Ein Blick in die Zukunft: Was benötigt es noch mehr? Und wer kann in welcher Form unterstützen?
Gewalt geht uns alle an. Darum freue ich mich über alle bereits bestehenden Aktionen und Kontakte mit den Spitzensportverbänden im DOSB und hoffe, dass sich noch weitere Bundesverbände beteiligen und aktiv für unser Thema einsetzen.

Ich wünsche mir insbesondere von der Politik noch mehr Anstrengungen im Bereich der Bildung, der Öffentlichkeitsarbeit und der Opferhilfe, für eine friedliche(re) Zivilgesellschaft in unserem Land.

Fatma Keckstein
Direktorin Zielgruppen und Bundesfrauenreferentin im Deutschen Ju-Jutsu Verband, 28. November 2018


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